Phi | Cycles
Ein tiefer Schnitt
Manch einer wird Vater, andere gehen ins Kloster, der Dritte entdeckt ein neues Instrument: der Weg zur entscheidenden Veränderung der kreativen Welt ist so diffus wie unvorhersehbar. Jahrelang suchte Phi-Mastermind Markus Bratusa nach dem goldenen Schnitt der Musik: die Mischung aus Rock n‘ Roll und künstlerischem Anspruch. Dann war er in der Küche unachtsam – und hatte die entscheidende Zutat für Cycles gefunden. Wer hätte gedacht, dass der goldene Schnitt einen Finger in Mitleidenschaft ziehen würde…
Schon seit über zehn Jahren sind Phi nun aktiv und längst ein etabliertes Mitglied der europäischen Prog-Szene. Auch wenn man es bisher noch nicht geschafft hat, das große, schon im Bandnamen verankerte Ziel zu erreichen: das perfekte Verhältnis, den goldenen Schnitt zwischen Rock-Power und künstlerischem Anspruch, basierte der Ansatz doch bisher immer auf dem gemeinschaftlichen Komponieren im Proberaum. Doch wie bedient der Gitarrist sein Instrument, wenn er sich als Amateur-Koch tief in den linken Zeigefinger geschnitten hat? Er bedient es einfach gar nicht, denn konfrontiert mit der beschriebenen Situation wählte Mastermind Markus Bratusa beim Songwriting für Cycles die Flucht nach vorne und begann, erstmals „trocken“ zu komponieren: vom Kopf direkt aufs Blatt, kein Filter.
Es mag Ironie sein, vielleicht ist es Schicksal, doch der Schnitt in den Finger ebnete den Weg zum goldenen Schnitt des Rock n‘ Roll. Der Song ist noch immer das Herzstück des künstlerischen Organismus Phi, doch die neue Denkweise brachte auf Cycles rhythmisch wie auch harmonisch jene unkonventionellen Impulse mit sich, die ungeahnte Kräfte freigesetzt haben und sich ganz besonders im deutlich stärkeren Metal-Einfluss zeigen. Fügt man hier noch hinzu, dass Bratusa neben sich alle Plätze im Lineup neu besetzen musste und auch diese Unwägbarkeit für eine ebenso mutige wie radikale Erneuerung aller scheinbar unumstößlichen Prämissen nutzte, ist erklärt, wie sich eine Band binnen weniger Jahre so rapide weiterentwickeln konnte.
Inhaltlich-textlich arbeitet sich Markus Bratusa schon seit geraumer Zeit daran ab, Schönheit mit Vergänglich- und Sterblichkeit zu versöhnen – hier könnte man ein Himmelfahrtskommando erwarten. Doch der neue, distanziertere Ansatz auf Cycles ermöglichte dem Songwriter den bisher klarsten, emotional mutigsten und ohne Frage auch ehrlichsten Blick auf die komplexe Thematik. Wo sich ein weniger mutiger Künstler lyrisch hinter allzu großen Worten der Emotionalität hätte verstecken können, öffnet sich der Wiener und schenkt dem Zuhörer uneingeschränkte Ehrlichkeit.
Markus Bratusa (Gesang, Gitarre, Synth, Sound Design), der Neuzugang Stefan Helige (Gitarre), der kurz nach Abschluss der Aufnahmen ausgeschiedene Arthur Darnhofer-Demár (Bass) sowie Rückkehrer Nick Koch (Schlagzeug, Percussion, Keys, Programming, Backing Gesang) haben auf ihrem neuen Album viel gewagt und daraus nicht nur die Energie geschöpft, sondern auch eingesetzt, welche die Basis für den großen Wurf war, den Cycles darstellt.
Cycles hat mehr von allem: mehr Fokus, mehr Details, mehr Polyrhythmik und gut verwobene Komplexität. Mehr epische Breite, mehr großartige Melodien, mehr Spannung, mehr Härte – und letztlich mehr Auflösung. Vom goldenen Schnitt in den Finger bleibt auf jeden Fall nur eine unscheinbare Narbe zurück. Und ein faszinierendes Album.
Veröffentlicht | 29.03.2018 |
Media | CD (Jewel Case mit O-Card) | GAOM055 |
Label | Gentle Art Of Music |
Vertrieb | Soulfood Music |
1. Children Of The Rain
2. Dystopia
3. In The Name Of Freedom
4. Amber
5. Existence
6. Blackened Rivers